Krankenkassen müssen auch dann Krankengeld zahlen, wenn kranke Arbeitnehmer den Krankenschein nicht an die Kasse geschickt haben

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat entschieden, dass Krankenkassen ihren Versicherten auch dann Krankengeld zahlen muss, wenn diese vergessen haben den Krankenschein über die erste Arbeitsunfähigkeit an die Kasse zu schicken. Das Gericht entschied, dass der Arzt dazu verpflichtet ist, den Krankenschein von sich aus an die Kasse zu schicken.

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen

 

 

Urteil vom 25.03.2004 (rechtskräftig)

 

 

Sozialgericht Gelsenkirchen S 17 KR 6/03

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 5 KR 149/03

 

 

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 17.07.2003 wird der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor wie folgt gefasst wird: Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 21.03.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.05.2003 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 15. bis 16.11.2001, 19.11. bis 08.12.2001, 13.12. bis 22.12.2001 und 04.01. bis 15.01.2002 Krankengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand:

 

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Krankengeld.

Die 1973 geborene Klägerin war bis zum 14.03.2002 bei der Stadt C beschäftigt und in dieser Zeit bei der Beklagten versichert. Sie war vom 15. bis 16.11.2001, 19.11. bis 08.12.2001, 13.12. bis 22.12.2001 und 04.01. bis 24.01.2002 arbeitsunfähig erkrankt. Die Meldungen der Arbeitsunfähigkeit erhielt die Beklagte hinsichtlich der beiden erstgenannten Zeiträume am 10.12.2001, für den dritten Zeitraum am 02.01.2002 und für den letzten Zeitraum am 14.01.2002. Der Arbeitgeber hat zunächst das Arbeitsentgelt bis zum 15.01.2002 fortgezahlt. Die Beklagte hat sodann Krankengeld vom 16.01. bis 24.01.2002 geleistet. Später forderte der Arbeitgeber das in den genannten Zeiträumen gezahlte Entgelt zurück, da wegen derselben in diesen Zeiträumen Arbeitsunfähigkeit begründenden Krankheiten bereits früher das Entgelt für sechs Wochen fortgezahlt worden sei. Die Klägerin hat das Entgelt erstattet.

Sie reichte im März 2002 Auszahlscheine für Krankengeld für die genannten Arbeitsunfähigkeitszeiträume ein. Mit Bescheid vom 21.03.2002 lehnte die Beklagte die Gewährung von Krankengeld ab, wobei sie auf den Widerspruch der Klägerin vom 15.04.2002 mit Schreiben vom 08.05.2002 mitteilte, der Krankengeldanspruch ruhe, weil die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen jeweils verspätet eingereicht worden seien. Mit Widerspruchsbescheid vom 27.05.2003 wies sie den Widerspruch mit dieser Begründung zurück. An diesem Ergebnis ändere auch nichts, dass der Arbeitgeber zunächst Entgeltfortzahlung erbracht habe, denn unabhängig davon habe eine Meldung bei der Kasse zu erfolgen, um dieser ggf. eine Überprüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) zu ermöglichen.

Die Klägerin hatte bereits am 15.01.2003 Klage erhoben. Zu deren Begründung hat sie vorgetragen, sie habe die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, "sobald das ihr gesundheitlich möglich gewesen sei", sofort bei der Beklagten eingereicht. Da der Beklagten inzwischen alle Bescheinigungen vorlägen, sei das Ruhen aufgehoben und somit Krankengeld zu zahlen.

Mit Urteil vom 17.07.2003 hat das Sozialgericht die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von Krankengeld verurteilt. Es hat die Auffassung vertreten, die Beklagte handele treuewidrig, wenn sie sich auf die verspäteten Meldungen berufe, da bei Versicherten mit Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach der Gesetzeslage der Arzt verpflichtet sei, die Krankenkasse von der bestehenden Arbeitsunfähigkeit zu unterrichten.

Gegen das ihr am 23.07.2003 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 22.08.2003 Berufung eingelegt. Die Klägerin habe gewusst, dass sie selbst die Arbeitsunfähigkeit habe melden müssen, da sie in allen Fällen - wenn auch verspätet - die Meldungen übersandt habe. Sie habe daher nicht auf eine Übersendung durch den Arzt vertraut und könne sich auch nicht auf ein dem Arzt bzw. ihr - der Beklagten - zuzurechnendes Verschulden berufen. Die gesetzliche Regelung, die eine Meldung durch den Arzt vorsehe, sei den Versicherten üblicherweise nicht bekannt, in der Praxis würden in mindestens 90 bis 95 % aller Fälle die Meldungen durch die Versicherten erstattet. Da somit diese Verfahrensweise gängige Praxis im Vertragsarztsystem sei, stelle sich die Frage, ob nicht die Geltung der gesetzlichen Verpflichtung durch die Rechtswirklichkeit aufgehoben sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 17.07.2003 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Senat ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der Beratung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist jedenfalls kraft Zulassung statthaft (§ 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), da das Sozialgericht die Sprungrevision zugelassen hat und in dieser Entscheidung zugleich auch die Zulassung der Berufung liegt (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 161 RdNr. 2 m. w. N.). Die auch sonst zulässige Berufung ist jedoch nicht begründet, denn das Sozialgericht hat die Beklagte zu Recht zur Zahlung von Krankengeld verurteilt. Der Senat hat insoweit den Tenor zur Klarstellung, für welche Zeiträume dieser Anspruch besteht, neu gefasst.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld u. a. dann, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Diese Voraussetzung liegt vor, denn die Klägerin war vom 15. bis 16.11.2001, 19.11. bis 08.12.2001, 13.12. bis 22.12.2001 und 04.01. bis 24.01.2002 krankheitsbedingt nicht in der Lage, ihre berufliche Tätigkeit zu verrichten. Dies ergibt sich aus den von den behandelnden Ärzten ausgestellten Bescheinigungen. Die Beklagte zweifelt auch das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit nicht an.

Entgegen ihrer Annahme hat der Krankengeldanspruch nicht gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V geruht. Nach dieser Norm ruht der Anspruch, solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet wird; dies gilt nicht, wenn die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit erfolgt.

Für die Tage 14. und 15.01.2002 greift das Ruhen ohnehin nicht ein, weil die Klägerin die seit 04.01.2002 bestehende Arbeitsunfähigkeit am 14.01.2002 gemeldet hatte. Für diese Tage hatte die Klägerin zunächst Entgeltfortzahlung erhalten (so dass der Krankengeldanspruch nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 ruhte), die Klägerin hat aber auf das Verlangen des Arbeitgebers das Entgelt wieder zurück gezahlt. Weshalb die Beklagte gleichwohl im Widerspruchsbescheid annimmt, es bestehe kein Krankengeldanspruch, weil der Arbeitgeber insoweit von unzutreffenden Annahmen hinsichtlich von anrechenbaren Vorerkrankungen ausgegangen sei, erschließt sich dem Senat nicht. Der Krankengeldanspruch ruht nur, soweit der Versicherte tatsächlich das Entgelt erhalten hat (vgl. BSGE 33, 69, 70; BSG SozR 3-2200 § 189 Nr. 1 S. 3). Da somit eine Zahlungspflicht der Krankenkasse auch bei Nichterfüllung bestehender Ansprüche auf Arbeitsentgelt besteht und die Krankenkasse den Versicherten nicht auf die Durchsetzung seines Anspruchs gegen den Arbeitgeber verweisen kann (Schmidt in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung - SGB V, § 49 RdNr. 53), gilt im Falle einer - aus Sicht der Krankenkasse - unberechtigten Rückforderung des zunächst gezahlten Arbeitsentgeltes nichts anderes. Auch in diesem Fall hat der Arbeitgeber seine Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung nicht erfüllt, ohne dass die Krankenkasse dem Versicherten entgegen halten kann, er habe dem Rückforderungsverlangen des Arbeitgebers nicht entsprechen dürfen. Die Kasse muss in diesem Fall Krankengeld leisten und kann gemäß § 115 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) beim Arbeitgeber Regress nehmen.

Hinsichtlich der übrigen Zeiträume hat die Klägerin zwar die Arbeitsunfähigkeit jeweils nach Ablauf der Wochenfrist des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V gemeldet. Die Beklagte kann sich aber hierauf nicht berufen, weil die Verspätung auf Umständen beruht, die ihr zuzurechnen sind.

Zwar statuiert § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V eine Obliegenheit des Versicherten zur rechtzeitigen Meldung der Arbeitsunfähigkeit. Er trägt die Verantwortung für die rechtzeitige Information der Krankenkasse über den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit. Es liegt grundsätzlich in seinem Verantwortungsbereich, ob die Meldung überhaupt und innerhalb der Wochenfrist bei der Kasse eingeht, so dass er auch beispielsweise das Risiko trägt, dass die Anzeige auf dem Postweg verloren geht (vgl. BSGE 29, 271, 272; 52, 254, 257; siehe auch BSGE 85, 271, 276 m. w. N.). Die Rechtsprechung hat jedoch von der Ausschlusswirkung der Ruhensregelung Ausnahmen gemacht, wenn die Meldung durch Umstände verzögert wurde, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkasse und nicht dem des Versicherten zuzurechnen sind. Eine (generelle) Ausnahme in diesem Sinne hat das BSG im Urteil vom 28.10.1981 (BSGE 52, 254) im Bereich der Versicherten mit Anspruch auf Lohnfortzahlung gesehen. Insoweit sei der Verantwortungsbereich der Krankenkassen erweitert und der der Versicherten eingeschränkt worden, weil § 3 Abs. 1 Satz 3 Lohnfortzahlungsgesetz ((LFZG) in der bis 31.12.1994 geltenden Fassung) vorsehe, dass die vom Beschäftigten dem Arbeitgeber vorzulegende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einen Vermerk des behandelnden Arztes enthalten müsse, dass dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung unverzüglich eine Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit mit Angaben über den Befund und die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit übersandt werde. In Fällen der Lohnfortzahlung sei somit der Arzt zur Meldung an die Krankenkasse verpflichtet. Damit sei den Versicherten die Verpflichtung abgenommen, der Krankenkasse die Arbeitsunfähigkeit zu melden, vielmehr sei der Arzt zur Meldung verpflichtet (a. a. O. S. 260).

Auch das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG), das zum 01.01.1995 an die Stelle des LFZG getreten ist (Artikel 53, 60, 68 Abs. 1 Pflege-Versicherungsgesetz v. 26.05.1994, BGBl. I, 1014), sieht in § 5 Abs. 1 Satz 5 EFZG eine dem § 3 Abs. 1 Satz 3 LFZG a. F. entsprechende Bestimmung vor. Die Krankenkassen hatten früher der Gesetzeslage Rechnung getragen und in der als Bestandteil des Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ä) bzw. des Bundesmantelvertrages der Ärzte/Ersatzkassen (EKV) geltenden Vordruckvereinbarung (Anlage 2 der genannten Verträge) für die von den Kassenärzten bei Versicherten mit Anspruch auf Lohnfortzahlung auszustellenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen eine den gesetzlichen Vorgaben entsprechende Gestaltung dieser Bescheinigung vorgesehen. Die seinerzeit geltende Vordruckvereinbarung sah ein vom Kassenarzt zu verwendendes dreiteiliges Muster vor, bei dem die für den Arbeitgeber bestimmte Bescheinigung (Nr. 1 a), die allein dem Versicherten auszuhändigen war, den in § 3 Abs. 1 Satz 3 LFZG a. F. vorgeschriebenen Vermerk enthielt, während das Muster Nr. 1 b mit Angabe der Diagnosen vom Kassenarzt der Krankenkasse zuzuleiten war und das dritte Exemplar (Nr. 1 c) beim Arzt verblieb. Die hier seit 01.04.1995 geltende Vordruckvereinbarung zum EKV sieht (inhaltlich mit der Anlage 2 zum BMV-Ä übereinstimmemd) nunmehr in Abschnitt 2.1 einen dreiteiligen Formularsatz vor, wobei das Muster Nr. 1 a für die Krankenkasse, das Muster Nr. 1 b für den Arbeitgeber und das Muster Nr. 1 c für den Arzt bestimmt ist. Das für den Arbeitgeber bestimmte Exemplar enthält zwar weiter den Vermerk entsprechend § 5 Abs. 1 Satz 5 EFZG, dass der Krankenkasse unverzüglich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung übersandt werde, das Muster 1 a enthält aber den Hinweis "Bei verspäteter Meldung droht Krankengeldverlust". Dieser an die Versicherten gerichtete Hinweis setzt ersichtlich die Möglichkeit voraus, dass u.U. auch dieses Muster den Versicherten zur Weiterleitung an die Krankenkasse auszuhändigen sei. Auf der Ebene der Kassenärztlichen Vereinigungen bestehen z.T. mit den sog. Primärkassen Vereinbarungen über die unmittelbare Übersendung des für die Krankenkassen bestimmten Vordrucks durch den Arzt, für die Ersatzkassen gibt es solche Vereinbarungen dagegen nicht, d.h. sie gehen davon aus, dass die Versicherten die Bescheinigung zur Weiterleitung erhalten.

Weder diese Gestaltung der Vordrucke noch der Umstand, dass in der Praxis häufig oder gar im Regelfall (in 90 bis 95 % der Fälle, wie die Beklagte meint) die Bescheinigung für die Kasse von den Vertragsärzten den Versicherten ausgehändigt wird, vermag die gesetzliche Regelung zur Abgrenzung der Verantwortungsbereiche bei Versicherten mit Anspruch auf Entgeltfortzahlung zu ändern. Die Meldepflicht ist den Versicherten im Bereich des § 5 Abs. 1 Satz 5 EFZG, das insoweit gegenüber § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V das speziellere Gesetz ist, abgenommen und somit eine Verspätung der Meldung der Risikosphäre der Krankenkassen zugewiesen (ebenso der 16. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 11.12.2002 - L 16 KR 159/02; LSG Bremen E-LSG KR-159; a. A. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27.07.1999 - L 5 KR 1/99 R). Zwar dient § 5 Abs. 1 Satz 5 EFZG in erster Linie dem Interesse des Arbeitgebers, der im Hinblick auf die Möglichkeit, von der Krankenkasse die Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme des MDK zur Arbeitsunfähigkeit zu verlangen (§ 275 Abs. 1 a Satz 3 SGB V) davon Kenntnis erlangen soll, dass die Krankenkasse von der Arbeitsunfähigkeit unterrichtet wird (vgl. Schmitt, Kommentar zum EFZG, 4. Auflage, § 5 RdNr. 70). Dies ändert jedoch nichts an der Verpflichtung des Vertragsarztes zur Meldung der Arbeitsunfähigkeit an die Krankenkasse. Dieser Verpflichtung kann er sich nicht dadurch entziehen, dass er den für die Krankenkasse bestimmten Vordruck dem Versicherten aushändigt. Damit wäre auch nicht sichergestellt, dass die Krankenkasse "unverzüglich" die von § 5 Abs. 1 Satz 5 EFZG geforderten Angaben zum Befund erhält. Zum einen kann der Versicherte die Meldung auch mit Rückwirkung innerhalb einer Woche seit Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erstatten, zum anderen ist die Meldung an keine Form gebunden und setzt nicht die Vorlage der Bescheinigung voraus, so dass der Versicherte die Arbeitsunfähigkeit auch mündlich oder fernmündlich mitteilen kann (allgemeine Meinung, vgl. nur Schmidt, a. a. O. RdNr. 99).

Dass § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V damit für Versicherte mit Anspruch auf Entgeltfortzahlung keine Bedeutung hat, begegnet entgegen der Auffassung der Beklagten keinen Bedenken. Die Meldepflicht soll der Krankenkasse die Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit ermöglichen. Insoweit ist allerdings das Argument, bei Versicherten mit Anspruch auf Entgeltfortzahlung bestehe mangels eigener Zahlungspflicht der Krankenkasse während des Entgeltfortzahlungszeitraums kein oder ein nur wesentlich eingeschränktes Interesse an einer Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit (so LSG Bremen, a. a. O.) nicht überzeugend, da die Krankenkasse unabhängig von einem Verlangen des Arbeitgebers die Arbeitsunfähigkeit bei Auffälligkeit zu überprüfen hat (§ 275 Abs. 1 a Satz 1 SGB V, vgl. KassKomm-Hess, § 275 SGB V RdNr. 6 a; Krausskopf-Baier, Soziale Krankenversicherung, Soziale Pflegeversicherung, § 275 SGB V RdNr. 10). Somit muss auch bei Versicherten mit Anspruch auf Entgeltfortzahlung die Krankenkasse baldmöglich vom Eintritt der Arbeitsunfähigkeit in Kenntnis gesetzt werden. Die in § 275 Abs. 1 a Satz 2 SGB V insoweit geforderte zeitnahe Prüfung ("unverzüglich") ist aber sogar eher gewährleistet, wenn der Arzt umgehend die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung übersendet, da - wie bereits dargelegt - der Versicherte die Meldung auch mit einer einwöchigen Verzögerung und vor allem ohne Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erstatten kann und die Kasse ohne Kenntnis der ärztlichen Feststellungen und der Befunde kaum in der Lage ist, zu überprüfen, ob die Einschaltung des MDK geboten ist.

Die Praxis der Vertragsärzte, Versicherten die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auszuhändigen, statt sie selbst an die Krankenkasse zu schicken, ist der Beklagten zuzurechnen. Schon grundsätzlich gehört das Ausstellen von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zu den Tätigkeiten im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung, für die die Krankenkassen die Mitverantwortung tragen, so dass fehlerhaftes Verhalten in diesem Bereich nicht den Versicherten zugerechnet werden kann (BSGE 52, 254, 260). Vor allem tragen die Krankenkassen durch die Gestaltung des Vordrucks, den die Vertragsärzte benutzen müssen (Ziffer 13 der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 SGB V "Arbeitsunfähigkeits- Richtlinien" in der Fassung vom 03.09.1991, BABl. Nr. 11 vom 31.10.1991) die (Mit) Verantwortung für diese Praxis. Die Gestaltung des Vordrucks geht nämlich ersichtlich davon aus, dass abweichend von der gesetzlichen Vorgabe der Versicherte die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Kasse überbringen soll. Der Aufdruck auf dem Muster 1 a "Bei verspäteter Meldung droht Krankengeldverlust" setzt nämlich logisch voraus, dass die Parteien der Vordruckvereinbarung davon ausgehen, dass das erste Exemplar dem Versicherten ausgehändigt wird, weil er nur in diesem Fall Kenntnis von dem Hinweis erlangen kann. Außerdem ist der auf dem für den Arbeitgeber bestimmten Exemplar (Nr. 1 b) enthaltene Hinweis auf die unverzügliche Meldung durch den Arzt irreführend, wenn tatsächlich der Arzt diese Meldung nicht vornimmt. Es ist somit festzustellen, dass die Vertragspartner offenbar bewusst von der grundsätzlichen Vorgabe abweichen und dem Versicherten (wieder) das Risiko der Übermittlung der Bescheinigung an die Krankenkasse überbürden wollte.

Unbeachtlich ist, ob die Klägerin aufgrund der Tatsache, dass ihr auch der für die Beklagte bestimmte Vordruck Nr. 1 a ausgehändigt worden ist, erkannt hat oder hätte erkennen können, dass die Bescheinigung der Beklagten ohne ihr Zutun nicht zugehen werde. Auf Vertrauensgesichtspunkte kommt es vor dem Hintergrund der gesetzlichen Abgrenzung der Verantwortungsbereiche bei Versicherten mit Anspruch auf Entgeltfortzahlung nicht an. Soweit in der Literatur (vgl. etwa KassKomm-Höfler, § 49 SGB V RdNr. 21; Krausskopf- Vay, § 49 SGB V RdNr. 40; unklar Schmidt, a. a. O., § 49 RdNr. 116) und im Urteil des BSG vom 28.10.1981 (a. a. O.) darauf abgestellt wird, ob der Versicherte annehmen konnte, dass der Arzt die Meldung an die Krankenkasse erstatten werde, betrifft dies Fälle von Versicherten ohne Anspruch auf Entgeltfortzahlung, bei denen aber gleichwohl der gleiche Vordruck wie bei Versicherten mit Anspruch auf Entgeltfortzahlung verwendet wird. Da für diese Versicherten § 5 Abs. 1 Satz 5 EFZG nicht gilt, mag es gerechtfertigt sein, sie nur dann für schutzwürdig zu halten, wenn sie darauf vertrauen konnten, dass der Arzt die Meldung entsprechend § 5 Abs. 1 Satz 5 EFZG (bzw. § 3 Abs. 1 Satz 3 LFZG a. F.) erstattet. Für Versicherte mit Anspruch auf Entgeltfortzahlung gilt dagegen uneingeschränkt, dass der Arzt die Meldung zu erstatten hat und insoweit Fehler der Vertragsärzte wie das Aushändigen der Bescheinigung zur Abgabe bei der Kasse in den Verantwortungsbereich der Krankenkassen fallen. Da insoweit die Versicherten der Pflicht zur Meldung enthoben sind, schadet es ihnen nicht, wenn sie die vom Arzt ausgehändigte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erst verspätet vorlegen, da die Kasse treuwidrig handelt, wenn sie sich auf die verspätete Meldung beruft. Unabhängig davon ist im konkreten Fall darauf hinzuweisen, dass für die Klägerin angesichts der tatsächlichen Fortzahlung des Entgeltes durch den Arbeitgeber nicht ersichtlich sein konnte, inwiefern ihr - entsprechend dem Aufdruck auf dem Muster 1 a - bei der verspäteten Meldung der Arbeitsunfähigkeit Nachteile drohen konnten. Dass der Arbeitgeber später das Entgelt zurückfordern und sie somit für die Vergangenheit auf die Inanspruchnahme von Krankengeld angewiesen sein konnte, musste ihr nicht bewusst sein.

Die Annahme der Beklagten, § 5 Abs. 1 Satz 5 EFZG sei durch die "Rechtswirklichkeit" eingeschränkt oder gar aufgehoben, ist fernliegend. Davon abgesehen, dass für die Annahme der Bildung abweichenden Gewohnheitsrechts der Zeitraum seit 1995 als zu kurz erscheint, fehlt es an der allgemeinen Überzeugung der Richtigkeit und Verbindlichkeit dieses Handelns im Rechtsverkehr, wie die schon 1999 ergangene Entscheidung des LSG Bremen (a.a.O.) zeigt. Noch weniger können die Krankenkassen und Vertragsärzte durch fortgesetztes, rechtswidriges Verhalten die Bedeutung einer klaren gesetzlichen Regelung zu ihren Gunsten ändern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beigemessen und daher die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).